Finanzmarktkommentar

EZB setzt grünen Standard in der Geldpolitik

Die Hauptaufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB) ist die Gewährleistung der Preisstabilität im Euroraum und damit auch die Regulierung der Geldmenge. Ein wesentlicher Teil ihres Instrumentariums sind Refinanzierungsgeschäfte im Rahmen der sogenannten Offenmarktpolitik. 

Benötigt beispielsweise eine Geschäftsbank in der Eurozone Liquidität, etwa um Kredite vergeben oder kurzfristigen Zahlungsbedarf zu decken, kann sie sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) refinanzieren – das heißt, sie leiht sich Geld von der EZB gegen Sicherheiten, die sie als Pfand stellt. Die EZB akzeptiert bestimmte Vermögenswerte – wie Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen – als Sicherheiten und bewertet sie mit Abschlägen (sogenannte „Haircuts“).

In den vergangenen Jahren hat die EZB schrittweise begonnen, Klima- und Umweltaspekte stärker in ihre geldpolitischen und aufsichtsrechtlichen Überlegungen einzubeziehen, etwa indem sie beim Ankauf von Unternehmensanleihen auf ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) Rücksicht nahm und in ihrer Strategieüberprüfung 2025 betonte, dass Klimarisiken Teil der Finanzstabilität sind. Dieser fortschreitende Paradigmenwechsel erreichte im Sommer 2025 einen neuen Höhepunkt, als der EZB-Rat beschloss, ab der zweiten Hälfte des Jahres 2026 einen sogenannten „Klimafaktor“ in ihr Sicherheitenbewertungssystem zu integrieren. Damit wird erstmals ein systematischer Zuschlag (bzw. Abschlag) für klimabezogene Risiken in Refinanzierungsgeschäfte eingebaut. Die offizielle EZB-Pressemitteilung nennt das Ziel, die EZB gegenüber möglichen Wertverlusten von Sicherheiten durch klimabedingte Übergangsschocks zu schützen und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit des Eurosystems zu steigern. Die EZB wird Finanzinstrumente mit einem höheren Übergangsrisiko durch den Klimawandel künftig nur mehr mit niedrigeren Beleihungswerten akzeptiert werden. Dadurch erhalten Banken für riskantere Papiere weniger Liquidität.

Der Klimafaktor gilt vorrangig für marktgängige Vermögenswerte von Nicht-Finanzunternehmen – also etwa Unternehmensanleihen und verwandte Papiere – nicht jedoch notwendigerweise für Staatsanleihen. Im Detail wird für jedes betrachtete Wertpapier zunächst ein sogenannter Unsicherheitswert berechnet, der drei Komponenten berücksichtigt: einen sektorbezogenen Stressfaktor, eine Emittentenexposition (in Anlehnung an Klima-Scores, die bereits in anderen EZB-Programmen Verwendung finden) sowie eine anlagenspezifische Verwundbarkeit, abhängig von der Restlaufzeit und der Empfindlichkeit gegenüber klimabedingten Schocks. Höhere Unsicherheitswerte erhöhen bereits bestehende Bewertungsabschläge und verringern den Beleihungswert der Unternehmensanleihen. Durch eine sorgfältige Kalibrierung des Klimafaktors will die EZB jedoch vermeiden, dass Banken zu stark in ihrer Refinanzierung eingeschränkt werden.

Die Motive für die Einführung eines Klimafaktors sind vielschichtig: Zum einen will die EZB ihre eigene Bilanz besser gegen klimabedingte Verlustrisiken absichern. Zum anderen signalisiert die EZB, dass sie Klimarisiken künftig fest im Risikomanagement verankert sehen will und steuert Banken über ökonomische Anreize in diese Richtung. Expert:innen sehen darin vielfach einen subtilen, aber wirkungsvollen Hebel, um Finanzströme sukzessive in klimafreundlichere Sektoren zu lenken: Emittenten mit hohem CO₂-Fußabdruck könnten künftig höhere Finanzierungskosten tragen, wenn ihre Papiere als Sicherheiten weniger wertgeschätzt werden.

Welche Auswirkungen sind zu erwarten? Für Banken bedeutet dies: Wenn ihre Sicherheitenpools einen hohen Anteil an Unternehmensanleihen mit schwachem Klimarating aufweisen, wird sich ihr mögliches Refinanzierungsvolumen bei gleicher Sicherheitenbasis verringern. Sie müssen mehr in Anleihen klimafitter Emittenten investieren oder andere Sicherheiten nutzen. Anleihen mit hohem Klimarisiko unterliegen künftig einem höheren Abschlag, was indirekt den Marktpreis solcher Papiere belasten könnte. Emittenten schlechter Klimaprofile könnten also schlechtere Konditionen in der Kapitalmarktfinanzierung erfahren: Anleger:innen werden vermehrt Risikoaufschläge einpreisen, und Banken könnten sie eher meiden. Zugleich entsteht ein zusätzlicher Anreiz für Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeiten klimafreundlicher auszurichten, um attraktive Ratings zu erhalten. Dennoch wird der unmittelbare Effekt vermutlich moderat bleiben: Unternehmensanleihen machen derzeit nur einen geringen Anteil am Sicherheitenportfolio im Refinanzierungsgeschäft der EZB aus. Banken müssen aber ihre Dateninfrastruktur, Klima-Scoring-Modelle, interne Risikomanagementsysteme und Prozesse laufend anpassen. Dies bedeutet einen zusätzlichen Aufwand, ist aber zugleich strategisch relevant im Wettbewerb um zulässige Sicherheiten. Für den Markt insgesamt kann man mittelfristig einen verstärkten Trend zu emissionsarmen und nachhaltigen Anleihen sowie bessere Transparenz in Klimaberichterstattung erwarten.

Mit der Einführung des Klimafaktors bei Refinanzierungsgeschäften sendet die EZB ein unübersehbares Signal an die gesamte Finanzwelt: Klimarisiken gehören als fester Bestandteil in das Risikomanagement, nicht als Randthema oder PR-Instrument. Banken, Emittenten und Investor:innen sollen erkennen, dass Klima- und Übergangsszenarien nicht länger externe Einflussgrößen sind, sondern elementare Parameter, die schon in der Geldpolitik berücksichtigt werden. Die EZB verbindet damit Geldpolitik, Finanzstabilität und Nachhaltigkeit in einer neuen Logik, die über den konventionellen Rahmen hinausweist und setzt einen Standard, dem andere Zentralbanken und Finanzakteure folgen könnten.

Autor:

Dr. Bernhard Huber, CPM, CEFA
Wertpapier Produktmanagement

Stand: 1. November 2025

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